Quelle: “Super Sonntag” vom Super Sonntag Verlag Aachen – Sonntag 14. Dezember 2014
„Lebendige Geschichtsstunde”
In Kotla wurden alte deutsche Grabsteine unter einem Parkplatz geborgen
Kotla. Grabsteine mit deutschen Namen, zum Teil mit Sütterlin-Buchstaben beschriftet, liegen sorgfältig arrangiert auf einem Rasenstück in Kotla in Polen. Sie stammen vom einstigen evangelischen Friedhof des Dorfes, waren jahrzehntelang unter der Betondecke eines Parkplatzes verborgen.
Nun wird die Geschichte der einstigen Einwohner wiederentdeckt – aus der Zeit, als das niederschlesische Kotla noch Kuttlau hieß. Es war ein Zufall, der Dorota Borodaj auf die Geschichte der Grabsteine stieß. Während eines Besuchs bei ihrer Großmutter erzählte die Warschauer Kulturpädagogin von Projekten zur Rettung alter jüdischer Friedhöfe und der Rückführung von Grabsteinen, die in den 50er und 60er Jahren beim Straßenbau als Baumaterial verwendet worden waren. Zu ihrer Verwunderung sagte die Großmutter: So etwas Ähnliches haben wir mit den deutschen Grabsteinen gemacht.
Nach Flucht und Vertreibung der deutschen Einwohner herrschte auch in Kotla lange Schweigen über die Menschen, die bis 1945 hier gelebt hatten. Die Familien der heutigen Bevölkerung des Ortes stammten aus den polnischen Ostgebieten, die heute zu Litauen oder der
Ukraine gehören. Sie mussten ihre Heimat verlassen, die 1939 von der Sowjetunion besetzt worden war.
Die deutsche Vergangenheit war lange tabu. In den 60er Jahren sollte das Gelände des Friedhofes abgerissen werden. Borodajs Großvater war damals der Schuldirektor von Kotla, und der Gedanke, dass Grabsteine als Baumaterial zweckentfremdet werden sollten, entsetzte ihn.
Steine waren mehrere Jahrzehnte begraben
In einer Nacht- und Nebel-Aktion vergrub er die Grabsteine im Boden des Dorfplatzes, der wenig später mit einer Betondecke übergossen wurde.
Jahrzehntelang wusste kaum jemand von den Steinen unter dem Platz. Als Borodaj von ihrer Existenz erfuhr, nahm die 30-Jährige Kontakt zu Bürgermeister Lukasz Horbatkowski auf. „Er ist sehr engagiert bei der Pflege der Geschichte des Dorfes. Es stand schnell fest, dass die Steine geborgen werden”, sagt sie.
Für den Bürgermeister war die Bergung der Grabsteine auch eine Geste des Respekts für die früheren Bewohner.
Borodaj erinnert sich noch an die Reaktionen im Dorf, als die ersten Deutschen in den 70er Jahren bei einem Onkel an die Haustür klopften und fragten, ob sie noch einmal ihr einstiges Haus sehen dürften.
„Als ich Deutsch hörte, war es, als fühlte ich wieder einen Gewehrlauf im Rücken”, sagte der ältere Verwandte später. Doch er lud das deutsche Ehepaar ins Haus zum Mittagessen ein. Es war der Beginn einer jahrzehntelangen Freundschaft.
Horbatkowski hofft auf einen „würdigen Platz der Erinnerung” für die Steine. „Leider fehlen uns derzeit die Mittel.”
Für die jungen Leute soll das Projekt eine „lebendige Geschichtsstunde” sein, hofft Borodaj. „Wir wollen nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Aber es liegt an uns, die Erinnerung an die Geschichte unseres Ortes zu erhalten” ,
sagt sie.