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Extrablatt im Buch Beitrag zur Heimatkunde Bönkenwalde
„Zum Vaterland fühlt sich jeder gute Mensch hingezogen und nach der Heimat stehen die Gedanken.“ Vaterhaus und Heimat! Was liegt wohl alles in diesen zwei teuren Worten! Die wirkliche Heimat kann nur ein beschränkt kleines Fleckchen Erde sein, einerlei ob er da geboren oder ihm zugewandert ist. Da muß er aber heimisch sein! Da muß ihm jeder Weg und Steg, jedes Winkelchen und Eckchen bekannt und lieb sein. „Darum hat in der Regel der Großstadtmensch die kleinste Heimat und der Dorfmensch die größte.“
Unser stilles, kleines, abgelegenes Dörflein ist einer größeren Umgegend und im Kreise bekannt durch das sogenannte „Seebruch“ und den „Seegraben“ der durch dies Torfbruch fließt. Dunkel, öde und einförmig breitet es sich in der ebenen flachen Landschaft aus, begrenzt nach der Dorfseite von einem recht steil ansteigenden Hohenzuge, auf dem auch unser dicht zusammengeschlossenes Dorf liegt. Aus dem Dunkel des umgebenden Heidekrauts und Schilfs blinkt ziemlich in der Mitte des Seebruchs eine jetzt sehr kleine offene Wasserstelle hervor: der „See“ und der „blinde See“. In alten Zeiten muß das ganze Torfbruch ein großer See gewesen sein. Der genannte Hohenzug sind Uferberge gewesen. Die Sand-, Grand- und Kiesgruben am Fuße dieser Berge beweisen das. Diese Lager geben heute für die Kreis-Chaussee und für Bauten brauchbares gutes Material her. Im Ordens-Foliant 92 A 190 Nr. 41 wird im Jahre 1480 dieser See erwähnt. Damals nahm -ganz wie heute- die Finanznot des Staates furchtbare Ausdehnung an. Der Ordensstaat mußte 31 Dörfer und die „zwene Seh Benikenwalt und Rymmelawken“ für 1600 ungarische Gulden an die Söldnerführer Anselm und Hans von Zettau verpfänden und verschreiben. An diesem See muß schon eine altpreußische Siedlung gewesen sein. Mit Vorliebe siedelten sich ja die heidnischen Urväter an Seen an und betrieben leidenschaftlich die Fischerei. Man hat beim Torfstechen sehr weit vom jetzigen See entfernt, einen Kahn einfachster Art, einen sogenannten Einbaum gefunden. Auch durchlochte Steine sind gefunden und aufbewahrt worden. Zwei Exemplare befinden sich im Besitz der Schulen Bönkenwalde und Haßelpusch. Auch aus Gräberfunden auf Höhen kann man wohl bestimmt annehmen, daß sich in der Nähe dieser heidnischen Grabstätten unser Gemeindefriedhof und ein sehr alter, hoch und herrlich gelegener Privatfriedhof befinden?
Auch später noch ist unser Dörflein nachweisbar ein ausgesprochenes Fischerdorf gewesen. In dem „Annehmungs- und Besatz-Brief des Balgaschen Amt-Bauern“ Friedrich Schemmerling, welchem unterm 25. Februar 1722 das aus 4 Huben bestehende Scharwerks-Bauern-Erbe des Martin Romahn übergeben wurde, wird neben Fischerei-Geräten ein Fischfaß aufgezahlt. Diese Urkunde ist im Besitze der noch lebenden Familie Schemmerling.“ Sie ist bemerkenswert wegen der Preise, die da angerechnet werden:
1 Scheffel Roggen 52 Gr. 9 Pfg, Gerste 37 Gr. 9 Pfg, 1 Scheffel Haaber 20 Gr. 9 Pf. Ein brauner Wallach 15 Jahre alt kostet 9 Rthlr, ein Schwartzer dito 10 Rthlr. Eine fuchsige Stutte 7 Jahre alt kostet 7 Rthlr, eine Rothe Kuh 6 Rthlr, ein Schaaf 1 Rthlr, und ein Schwein auch nur 1 Rthlr. Das Königliche Domänen-Amt „überlässet, tradiert und übergibet das ganze große Erbe“ für 154 Rthlr und 30 Gr.
Als der See immer mehr vertorfte und verschilfte, also immer kleiner wurde, kamen Rosenberger und Passarger Fischer alljährlich und fischten die „Amtsteiche“ aus, auch unsern. Die Hälfte des noch immer sehr reichen Fanges behielten die Fischer, die andere Hälfte wurde an die Besitzer nach dem Verhältnis ihrer Hufenzahl verteilt.
Wie schnell der Prozeß der Vertorfung vonstatten geht, beweist unsere Schulchronik. Vor wenigen Jahren wurde der letzte halbverfaulte Kahn heruntergeholt. Unter Jahre 1899 berichtete der damalige Lehrer, daß der See vor 12 Jahren doppelt so groß gewesen ist. Heute spielt der See gar keine Rolle mehr im Berufsleben der Dörfler. Wohl wird noch, alter Sitte und Gewohnheit gemäß, alljährlich auf dem „Gemeindetag“ die „Fischereigerechtigkeit für 1,50 Mark verpachtet.“ Wohl wird noch aus angeborener Leidenschaft gefischt, auch jeder Dorfteich durchfischt. Aber die Zeit ist nicht mehr ferne, da der See verschwunden sein wird. Nur die Schulchronik wird kommenden Geschlechtern von ihm berichten.
Was damals der „See“, das bedeutet heute das „Seebruch“ für unser Dorf! Der herbe, karge und doch schöne Flecken Heimaterde liefert Torf, das zwar nicht besonders gut, aber in dieser Zeit sehr geschätzt ist. In trocknen Jahren liefert die „Koppel“ immer noch rechtlich Futter. Im Winder werden die Binsen und Schilfgräser gehauen und als Streu verwendet. In harter saurer Arbeit ist der Besitzer bemüht, sein Bruchland durch Befahren mit Sand und Erde in ertragfähiges Ackerland zu verwandeln. Der weitaus größte Teil ist aber Unland und Ödland. Eine Entwässerung und Urbarmachung dieser Ödländereinen, die im Jahre 1916 auf Betreiben des Gutsbesitzers Herrn Hantel und des damaligen Landrats v. Siegfried mit Hilfe der gefangenen Russen in die Wege geleitet werden sollten, scheiterten leider.
Durch unser Dorf – dicht am Rande des Seebruchs vorbei – führt die Chaussee Mehlsack – Hohenfürst – Zinten. Die frühere Landstraße muß bei dem weichen Grundboden sehr schlecht und verrufen gewesen sein. Gleich hinter dem Dorfe führte diese Landstraße sehr steil zum „Puschberge“ hinauf oder umgekehrt sehr steil herab. Diese Stelle heißt heute noch im Volksmunde ganz allgemein: „Böserü“. Diese Bezeichnung stammte aus der Zeit, „als die Franzosen hier waren“. Bei den Hin- und Herzügen des LÉstoque´schen Korps und der Brigarde des Prinzen von Anhalt im Frühjahr (Juni) 1807 blieb auch unser abgelegenes Dörfchen von den Kriegsheimsuchungen und von Franzosen nicht verschont. Am Puschberg, der heute von keinem Busch mehr gekrönt wird, blieben oft Mann und Roß und Wagen stecken, Wagen zerbrachen sogar. Über diese böse „französisch rue = Straße“ wurde vom Kriegsvolke oft und kräftig geschimpft – und Böserü = böse Straße heißt diese Stelle heute noch, nach 100 Jahren.
1.9.1921 – 84